Vampirwaschbaers Wahnsinn

Kurzgeschichte von Alexis Snow – Teil 1

Heute zum 1. Advent habe ich eine Kurzgeschichte von Alexis Snow für euch. Um 14 Uhr und 18 Uhr bekommt ihr Teil 2 und 3. Im 3. Teil ist dann auch das Gewinnspiel dabei =)
Aber ich will nicht lange reden, deshalb fangen wir mit dem 1. Teil auch schon an.

Versunken

Als ich meine Augen öffne, blicke ich an eine stuckverzierte, beigefarbene Decke. Verwundert blinzele ich mehrmals hintereinander, doch die Decke bleibt unverändert. Vorsichtig sehe ich mich in dem Raum um und stelle auch hier fest, dass mir dieser vollkommen unbekannt erscheint. Wo bin ich hier?

Es handelt sich um ein kleines Zimmer, das zwar nur das Nötigste beinhaltet, aber mit liebevollen Dekorationen ausgeschmückt ist. Es gibt lediglich dieses Bett, auf dem ich liege, einen dunklen Holzschrank mit Spiegel auf der gegenüberliegenden Seite des Raumes und einen runden Tisch mit drei Stühlen in der Mitte, auf dem ein kleiner, roter Weihnachtsstern steht. An den Wänden hängen Bilder von verschiedenen Wesen wie Einhörner, Feen und anderen mystischen Geschöpfen.

Langsam setze ich mich auf und streife die dicke, weiße Daunendecke ab. Ich habe ein Fenster entdeckt, von dem sanft Licht in dieses mir unbekannte Zimmer scheint. Neugierig wie ich bin, schlurfe ich zum Glas und erstaune bei der Ansicht, die sich mir bietet.

Ich vermute, dass sich das Haus auf einer großen Lichtung befindet, denn von meinem Aussichtspunkt aus kann ich sehen, wie sich riesige Tannenbäume im Halbkreis aneinander reihen. Der Boden ist mit einer dicken Schneeschicht bedeckt, aus der vereinzelte grüne Halme des Rasens herausstehen.

Doch der faszinierendste Anblick ist ein Einhorn, das am Waldrand steht und mit dem Kopf im Schnee gräbt. Sein Horn glänzt im Sonnenlicht und spiegelt den warmen Glanz wieder, sodass das Wesen mystisch erstrahlt. Gleichzeitig wird es von kleinen, fliegenden Geschöpfen umschwirrt, die immer wieder in der Mähne oder auf dem Rücken des Pferdes landen und damit spielten.

Mein erster Gedanke, was diese kleinen, fliegenden Geschöpfe sein können, ist, dass es vielleicht Feen sind. Doch sie sind zu weit entfernt, als dass ich etwas genaueres erkennen kann. Aber das stört mich nicht wirklich. Die gesamte Situation hat etwas Magisches, das sich kaum in Worte fassen lässt und mich in ihren Bann zieht. In diesem Augenblick wünsche ich mir, dass er nie vorbeigeht.

Von diesem Anblick verzaubert, bemerke ich kaum, dass ich meine Stirn an das Fenster lehne und meine Hände neben meinem Gesicht abstütze. Als die Tür hinter mir mit einem Ruck aufschwingt, schrecke ich zusammen, wobei mein Kopf so komisch hin und her zuckt, dass ich mit einem lauten Klonk gegen das Fenster schlage. Glücklicherweise zerbricht die Scheibe nicht und die Schmerzen halten sich in Grenzen.

Verschreckt drehe ich mich zur Tür, während ich mir über die pochende Stirn reibe. In der Tür steht eine kleine, dickliche Frau mit grün schimmernder Haut, grüner Latzhose, roter Bluse und Filzhut, die die Hände in die Hüfte stemmt und neben sich einen kleinen Teewagen stehen hat. »Na, ich hoffe doch, dass du dir nicht weh getan hast«, sagt sie mit lauter, polternder Stimme, wobei sie aber gleichzeitig auch besorgt wirkt.

Ich schüttle meinen Kopf, worauf dieser dumpf pocht. Vielleicht bin ich doch stärker gegen das Fenster gestoßen, als ich dachte. Sanft massiere ich mir die Stirn, in der Hoffnung, dass der Schmerz nachlässt, was aber nicht geschieht. Fast scheint es, als würde das merkwürdige Gefühl von woanders herkommen, als von dem Schlag gegen das Fenster. Doch das ergibt keinen Sinn für mich.

Die kleine Frau lacht herzlich und schiebt den mitgebrachten Wagen zum Tisch. »Ich bin Yumi, die gute Seele des Hauses. Wenn dir irgendetwas fehlt, dann wende dich an mich, ich werde mich um alles kümmern«, sagt sie mit einem Augenzwinkern. »Ich habe dir eine Tasse heiße Schokolade mit Sahne mitgebracht, die hilft bestimmt bei den Kopfschmerzen.«

Ich grinse schief. »Vielen Dank dafür. Aber Yumi, kannst du mir sagen, wo ich hier bin und wie ich hierhergekommen bin?« Wie unhöflich bin ich denn? Sie bringt mir Kakao mit und ich frage nur, warum ich hier bin?

»Du fällst also direkt mit der Tür ins Haus.« Sie wirkt nicht enttäuscht, eher amüsiert. »Das gefällt mir.«

Ich presse meine Lippen unbehaglich aufeinander, bevor ich weiter rede, ohne vorher nachzudenken. »Yumi, ich wollte nicht unhöflich sein. Wirklich. Aber ich wache in einer fremden Umgebung auf und weiß nicht, wo ich bin, geschweige denn, wie ich hierhergekommen bin. Da ist meine Neugier einfach mit mir durchgebrannt.«

Sie lächelt freundlich, doch in ihren Augen sehe ich eine gewisse Traurigkeit. »Ich verstehe schon. Ich… Ich hatte nur gehofft, dass wir die Möglichkeit haben, uns einander ein wenig kennen zu lernen. Ein bisschen reden, weißt du?« Sie senkt ihren Blick und schlingt die Arme um ihren fülligen Leib. Oh je, ich habe ihr vor den Kopf gestoßen.  »Yumi, es tut mir leid. Ich wollte…«

Hinter der Tür rumpelt es plötzlich, sodass ich mitten in meinem Satz unterbreche. Dem Poltern folgt ein tiefes, gesummtes Weihnachtslied. Yumis Gesicht hellt sich auf und sie lässt mich wortlos stehen.

Ich verschränke meine Finger ineinander, während ich unschlüssig im Raum stehe und überlege, ob ich folgen und nachsehen soll, wer da gekommen ist, oder ob es mir nicht zusteht, neugierig zu sein und ich in diesem Zimmer warten soll. Unruhig schweift mein Blick durch den kleinen, gemütlichen Raum.

Durch den Spalt der offenen Tür erspähe ich einen schmalen Gang, kann jedoch nichts Genaues erkennen. Das Einzige, das ich sehe, ist eine kleine, mit blauen und weißen Kugeln geschmückte Tanne, die auf einem Beistelltisch steht und bis zur Decke reicht.

Ich habe gerade beschlossen, Yumi zu folgen, als sich Schritte und laute Stimmen nähern. Schnell lasse ich mich auf einem der Stühle sinken, gebe mich gespielt uninteressiert und betrachte meine Finger.

»Hallo«, sagt eine warme, tiefe Stimme, die mich sofort den Kopf heben lässt. Vor mir steht der schönste Mann, den ich in meinem Leben je gesehen habe. Er hat kurzes, dunkelbraunes Haar, wunderschöne, graue Augen und ein strahlendes Lächeln, das meinen Herzschlag aussetzen lässt. Er trägt eine dunkle Jeanshose und einen grauen Pullover.

Er strahlt förmlich von innen heraus, woraufhin ich mir ein Seufzen unterdrücken muss. In meinem Bauch flattern Millionen von Schmetterlingen und schicken wohlige Schauer durch meinen Körper. Gleichzeitig spüre ich, wie meine Wangen brennen.

Ich räuspere mich. »Ähm… Ha… Hallo.«

Meine Stimme hört sich dünn und zittrig an. Was ist gerade mit mir los? Ich habe keine Ahnung, wo ich bin, aber verliebe mich Hals über Kopf in einen Fremden, dessen Namen ich nicht einmal kenne? So nach dem Motto: Liebe auf den ersten Blick? Etwas, an das ich nicht glaube und dann stottere ich mit dünner Stimme auch noch vor mich hin. Das zeigt definitiv keine Glanzleistung von mir.

»Du bist endlich wach. Ich bin Niko. Wie heißt du?« Er lächelt noch immer und scheint meine Peinlichkeiten gar nicht wahr zu nehmen oder sie gekonnt zu ignorieren. »Ich heiße Emilie.« Er nickt, als wisse er bereits, wie ich heiße. »Yumi? Holst du uns bitte frischen Tee?«

Als Yumi den Raum verlässt, setzt er sich neben mich an den Tisch. »Yumi sagte mir, dass du gerne wissen möchtest, wo du hier bist. Du befindest dich in einer von dir erfundenen Welt, in der du gefangen bist.«

Ich pruste los. »Wie kann das denn sein? Müsste ich mich dann nicht an alles erinnern?«

Er schüttelt den Kopf. »Dies hier ist die Welt deiner Trauer. Du hast dir eine Oase erschaffen, in der du dich wohl fühlst, aber keine Trauer empfindest.«

Genervt runzle ich die Stirn. »Warum sollte ich denn trauern?«

Wie kann er so etwas behaupten? Merkt er nicht, wie lächerlich das alles klingt? »Emilie, ich meine das ernst. Ich möchte dir im Wald gerne etwas zeigen. Vielleicht glaubst du mir ja dann.«

Ich verdrehe die Augen, aber erhebe mich von dem Stuhl, weil seine Stimme so ernst klingt. So, als wäre ihm das wirklich wichtig. Bitte, auch wenn ich nicht weiß, was diese Aktion hier soll, doch tief in mir spüre ich, dass ich diesem Mann keinen Wunsch abschlagen kann. Es fühlt sich merkwürdig an, aber es scheint mir, als würde ich ihn schon mein Leben lang kennen, was totaler Schwachsinn ist.

Hat er mich vielleicht gefangen genommen? Nein, das möchte ich nicht glauben. Es würde ja auch keinen Sinn ergeben, warum sollte er mich sonst nach draußen bringen, wo ich vor ihm flüchten kann.

Er führt mich durch den schmalen Gang, von dem mehrere Türen abgehen, die aber geschlossen sind. Irgendwie kommt mir der Raum bekannt vor, kann mich aber nicht erinnern, warum. Es ist nur ein flüchtiges Bild, das ich nicht zuordnen kann, wie eine fadenscheinige Erinnerung.

Ich zucke mit den Schultern. Gott sei Dank gehe ich hinter ihm, sodass er mein Achselzucken nicht gesehen hat. Das wäre wieder einmal sehr peinlich gewesen. Solche Situationen scheine ich ja anzuziehen.

An der Haustür stehen meine warmen Stiefel, die innen mit weicher Wolle gefüttert sind. Freudig ziehe ich sie an. Yumi steht neben Niko und holt aus einem in der Wand eingelassenem Schrank Mützen, Handschuhe, Schal und Jacken heraus.

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